Die Mitte
Irgendwo zwischen Nordkap, Griechenland, Portugal und Russland muss er liegen, der geographische Mittelpunkt Europas. Danach gefragt, sagt einer, er wisse überhaupt nichts, ein anderer weiß, es ist „Essen“, ein dritter ist gerade im Urlaub, für einen vierten ist sie dort begraben, wo der Hund liegt, und ein fünfter sucht noch den richtigen Standpunkt. Auch der polnische Filmemacher Stanislaw Mucha sucht. Mit seiner Crew begibt er sich auf eine muntere Odyssee kreuz und quer durch den Kontinent und wird fündig. Er bereist mehr als ein Dutzend Orte, die den Anspruch erheben, das »Zentrum« Europas zu sein. Im österreichischen Braunau am Inn, wo Japaner das Geburtshaus Hitlers knipsen, erfährt man im Gasthof „Mittelpunkt Europas“, dass einst Napoleon hier seine Mitte fand. Im slowakischen Krahule half ein Engel bei der Verortung, und ein Mann denkt laut über ein Plakat nach, auf dem steht „In die Europäische Union, aber nicht mit nackten Ärschen“. Im polnischen Piatek behauptet jemand die „Mitte“ sei abhanden gekommen und weiter östlich verirrt sich die Filmcrew in die »Mitte des polnischen Urwaldes«. Im litauischen „Europos Centro“, bei Vilnius, betrachtet eine Familie Europa als „Scheusal“ und sieht im Untergang der Sowjetunion ihr größtes Unglück. Ein Nachbar erzählt die tragikomische Geschichte seiner Verwandten, die sich alle erhängt haben und in einem Labyrinth, das sich „Fernseher für Europa“ nennt, beaufsichtigt ein Mann Tausende kaputter TV-Apparate. Im westukrainische Rachiv, seit 1887 die Mitte Europas, ist die Zeit geteilt: je nachdem, ob die Uhren nach Europäischer oder Kiewer Zeit ticken, gehen sie zwei Stunden vor oder nach. Wir treffen den letzten Chassidim, als er die Zeitung „Mitte Europas“ kaufen will und erfahren alles was dort nicht drinsteht von der schlohweißen Kioskfrau, deren winziger Laden womöglich „die wahre Mitte“ ist ... Wo sie also liegt, die Mitte Europas, ist keine Frage der Topographie sondern eine Sache des Glaubens. Sicher ist nur, dass sie sich östlich der Erwartung befindet. Der Film folgt Spuren von Irrtümern, Anmaßungen und skurriler Selbstbehauptung. Er wirft Schlaglichter auf Spinner und Visionäre, Lokalpatrioten und Kontinental-Utopisten. Und Mucha erzählt davon, wie jenseits der alten EUGrenzen, inmitten der neuen, die Existenzprobleme wachsen, mit ihnen jedoch auch Gelassenheit und Humor der Bewohner. Die Menschen der jeweiligen Mitten bestimmen die Betrachtung von Europa. Keine Mitte liegt wirklich im Zentrum, aber jede ist der Nabel der Welt und macht den virtuellen Ort zu einem Herzstück...
(D 2004 l R: Stanislaw Mucha l D: Pawel Bartoszewicz, Marc Baumgartner, Ralf Buberti, Dariusz Blaszczyk, Michal Hirko, Raja Horodetska l FSK: o. A. l 86 min.)
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Blue Moon
Es ist die Liebe, die Johnny Pichler vom sicheren Westen tief in den Osten Europas führt, erst in die Slowakei, dann in die Ukraine bis nach Odessa, die mystische Hafenstadt am Schwarzen Meer. Eine Flucht treibt den stoischen Geldboten Johnny mit der betörenden Shirley von Österreich in die Slowakei. Bevor er sie richtig kennenlernen kann, verschwindet die rätselhafte Frau. Auf der Suche nach ihr findet er nur ihre Zwillingsschwester Jana. Immer wieder kreuzt der gestrandete Ostdeutsche Ignaz Johnnys Wege, die fortan gepflastert sind mit Grotesken, Gefahren und Geliebten. Es ist die Zukunft, die Shirley in Hotelzimmern sucht und vor der Liebe davonlaufen lässt. Es ist die Vergangenheit, die Taxifahrerin Jana im ukrainischen Lviv gefangen hält, Schafe und Geheimnisse hüten lässt. Es ist das Geld, das den kleinkriminellen Ignaz durch den Postkommunismus stolpern und stets aufs Neue an Freundschaften scheitern lässt. Ein Spiel von Nähe und Flucht schickt alle auf eine Odyssee der Gefühle, die gegen die Regeln der Welt im Osten prallen, ehe im fernen Odessa der Blaue Mond aufzieht. Das Spielfilmdebüt von Andrea Maria Dusl ist ein modernes Märchen über die Liebe zwischen Ost und West; über die Erfüllung einer Sehnsucht und die Entdeckung eines Kontinents. Es ist ein Roadmovie in den unbekannten Osten, in jene Welt von nebenan, die vom Eisernen Vorhang versperrt, jahrzehntelang ihr Eigenleben und ihre bizarre Exotik verborgen hielt.
(A 2002 l R: Andrea Maria Dusl l D: Josef Hader, Viktoria Malektorovych, Detlev W. Buck, Ivan Laca, Peter Aczel, Andrea Karnasová, Emöke Vinczeová, Orest Ogorodnik, Sergey Romaniuk l FSK: ab 12 l 90 min.)
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Abendland
Ein Blick auf Europa bei Nacht. Ein „Abendland“, das sich als Gipfelpunkt der menschlichen Zivilisation sieht und gleichzeitig seine Grenzen dichtmacht, um den Wohlstand und die Sicherheit nicht zu gefährden. Geyrhalter macht Station in illegalen Einwanderercamps, Diskotheken und bei der Telefonseelsorge. Er schafft ein Kaleidoskop aus vielen kleinen Geschichten, die er lose aneinanderfügt und zeigt, wie perfekt das öffentliche Leben in Europa organisiert ist: hochgradige Technisierung in allen Lebensbereichen, ob Hightech-Maschinen für frühgeboren Kinder oder Fließbandabfertigung in den Krematorien. Manche Dinge sieht man eben in der Nacht so klar wie sonst kaum am Tage.
(AUS 2011 l R: Nikolaus Geyrhalter l FSK: ab 12 l 94 Min.)
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The Other Europeans in: Der zerbrochene Klang
Bessarabien, das heutige Moldawien, Anfang des 20. Jahrhunderts: Jüdische und Roma-Musikerfamilien leben zusammen, heiraten untereinander und musizieren gemeinsam. Bis der Zweite Weltkrieg sie gewaltsam voneinander trennt. 70 Jahre später hat ihre Musik nur noch wenig miteinander gemein. Deshalb gehen 14 Musiker aus Europa und den USA, darunter Juden und Roma, auf eine von der EU geförderte Suche zu ihren musikalischen Wurzeln. Vier der Musiker (Alan Bern, Mark Rubin, Marin Bunea, Kálmán Balogh) begleitet der Film auch parallel in ihrem Alltag und verbindet so die gemeinsame musikalische Forschungsreise mit den unterschiedlichen Lebenswelten der vier Protagonisten.
(D 2011 l R: Yvonne Andrä, Wolfgang Andrä l D: Alan Bern, Mark Rubin, Marin Bunea, Kálmán Balogh, Dan Blacksberg l O.m.d.U. l 122 min.)
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